Das Aussterben der Saurier stellte die Paläontologen lange vor ein Rätsel. Dass es heute als gelöst gilt, ist zwei Physikern zu verdanken. Doch ihre Theorie wurde lange für verrückt gehalten.
Selten gab ein Thema der Biologie Anlass zu so viel Spekulationen wie das Aussterben der Dinosaurier. In den letzten 150 Jahren wurden viele irrwitzige Ideen und Vorschläge präsentiert, um ihr plötzliches Verschwinden vor 66 Millionen Jahren zu erklären. «Tödlicher Heuschnupfen» und «schrumpfende Hoden» zeugen vom Ideenreichtum der Forschenden. Die gute Nachricht: Heute hat sich die Zahl der Theorien auf eine Haupttheorie reduziert. Viele Paläontologen betrachten die Aussterbefrage damit als geklärt. Bei der Antwort geht es nur noch um die Feinabstimmung.
Grundsätzlich geht man in der Forschung davon aus, dass der Einschlag eines riesigen Asteroiden der Hauptgrund war. Es gibt allerdings immer noch eine Debatte darüber, ob der Asteroid der alleinige Schuldige war, oder ob er einen Helfer hatte. Hoch im Kurs stehen gigantische Vulkanausbrüche, die zeitgleich in Indien stattfanden.
Der Asteroid hatte gigantische Ausmasse. Sein Durchmesser betrug rund zehn Kilometer. Man stelle sich einen Brocken in der Grösse des Mount Everest vor. Einer, der sich mit den Auswirkungen dieses Geschosses befasst, ist der Paläontologe Alessandro Chiarenza vom University College London. Er ist Experte für das Aussterben der Dinosaurier. «Die Energie, die der Einschlag freisetzte, entsprach etwa einer Milliarde Atombomben. Das war so gewaltig, dass die Erdkruste aufschmolz und sich zu einer acht Kilometer hohen Welle aus flüssigem Gestein auftürmte.»
Die Wucht des Einschlags pulverisierte schwefelhaltiges Tiefengestein und wirbelte es als Staub und Gas in die Atmosphäre hinauf. Dabei bildete sich unter anderem Schwefeldioxid, ein Gas, das die Sonnenstrahlung abblockt. «Staub und Schwefel liessen nicht mehr viel Sonnenlicht zum Boden durch. In der Folge starben viele Pflanzen ab und damit bracht die Nahrungskette zusammen», sagt Chiarenza. Diese Phase der Dunkelheit hielt einige Jahrzehnte an, wie er vermutet. Zeit genug, um weltweit drei Viertel aller Arten – darunter den grössten Teil der Dinosaurier – auszulöschen.
Um dieselbe Zeit ereignete sich auf der Erde noch eine andere Umweltkatastrophe. In der Region Dekkan im Westen von Indien, das damals noch eine Insel war, brach rund 1.4 Millionen Jahre vor dem Asteroideneinschlag die Erde auf und Lava blubberte aus ihr hervor. «Das geschah auf einer Fläche so gross wie Frankreich. Es war gigantisch», sagt Chiarenza. Fast zwei Millionen Jahre lang floss die Lava und mit ihr wurde sehr viel Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen. In der Folge setzte der Treibhauseffekt ein. Manche Forschende vermuten, dass der damit einhergehende Temperaturanstieg zum Untergang der Dinosaurier beigetragen hat. Ein brutaler Doppelhammer. «Es ist, wie wenn man erst mit Muhammad Ali kämpfen muss und danach auch noch mit Mike Tyson in den Ring steigt», erklärt Dennis Hansen, Ökologe am Naturhistorischen Museum der Universität Zürich. «Da geht jeder KO.»
Unser Blick auf das Ende der Dinosaurier war jedoch nicht immer so klar. Ihr Verschwinden war zwar seit ihrer systematischen Erforschung im 19. Jahrhundert ein Rätsel, aber paradoxerweise ist das Thema damals nur auf geringes Interesse gestossen. «Man hat die Sache grösstenteils ignoriert», sagt der Paläontologe Mike Benton von der University of Bristol. Er hat sich eingehend mit Aussterbetheorien der Dinosaurier auseinandergesetzt und deren Geschichte in drei Phasen gegliedert.
Die erste Phase nennt er «Ignoranz». «Noch bis ins 18. Jahrhundert wurde es als Blasphemie betrachtet, vom Aussterben einer Art zu sprechen. Es bedeutete nämlich, dass Gott ein Fehler in seiner Kreation unterlaufen ist», sagt Benton. Das mag dazu beigetragen haben, dass die Forschenden des 19. Jahrhunderts das Thema erst einmal mieden.
Nichtsdestotrotz gab es einige namhafte Naturforschende, die sich mit dem Aussterben der Dinosaurier befassten. Dabei ging es ihnen jedoch nicht allein um Wissenschaft, sondern auch darum, Gesellschaftspolitik zu betreiben. Europa war ab dem späten 18. Jahrhundert von revolutionären Umbrüchen geprägt, was sich in manchen wissenschaftlichen Theorien niederschlug. «Es gab zwei Lager. Die einen waren die Katastrophisten, die anderen die Gradualisten», erklärt Benton. Die Gradualisten waren vor allem in England anzutreffen, wo man kritisch auf die Revolutionen blickte, die sich auf dem Kontinent vollzogen. «Britische Wissenschaftler bevorzugten ein Leben ohne plötzliche und katastrophale Umwälzungen.
Katastrophen wurden als verrückt betrachtet. Graduelle Veränderung hingegen als vernünftig.» Einer ihrer prominentesten Vertreter war der Geologe Charles Lyell (1797 – 1875), der das Aussterben als eine Folge von langsamen Umweltveränderungen sah. Ihnen gegenüber standen die Katastrophisten, die vor allem aus Frankreich kamen. Der berühmteste von ihnen war der Zoologe Georges Cuvier (1769 – 1835).
Von ihm stammte 1825 einer der allerersten Theorien über den Untergang der Dinosaurier. Er vermutete, dass sich der Meeresboden einst plötzlich angehoben hatte und die landbewohnenden Tiere in den über sie hineinstürzenden Wassermassen untergegangen waren. Ein typisches Katastrophenszenario.
Doch im Allgemeinen blieb das Interesse bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts klein. «In den Standardlehrbüchern der allgemeinen Paläontologie wird das Aussterben der Dinosaurier ebenso wenig erwähnt wie in den Fachzeitschriften», sagt Benton.
Ab 1920 tauchten vermehrt wissenschaftliche Publikationen dazu auf. Die zweite Phase brach an. Benton bezeichnet sie als «Dilettantismus». Man könnte sie aber auch Phase der sprühenden Fantasie nennen. Sie dauerte etwa bis 1970. Während dieser Zeit sind die meisten «verrückten» Theorien entstanden. Zu den köstlicheren Müsterchen zählen diese hier: Die Blütenpflanzen, die sich vor 250 Millionen Jahren entwickelten, hätten mit ihren Pollen bei den Dinosauriern zu tödlichem Heuschnupfen geführt; durch das steigende Gewicht der Saurier seien ihre Hoden immer mehr zusammengedrückt worden, was schliesslich zu Impotenz geführt habe, die Dinos seien zunehmend depressiv und suizidal geworden; Schmetterlingsraupen hätten den pflanzenfressenden Dinos alles Grünfutter weggefressen; steigende sexuelle Freizügigkeit unter den Dinos habe zur unkontrollierten Verbreitung von AIDS geführt.
Diese frivolen Theorien gingen aber von einer kleinen Gruppe von Forschenden aus. Benton nennt sie «Dilettanten», weil ihr Ansatz unwissenschaftlich war. «Viele der Ideen stammten von Nicht-Paläontologen. Die meisten von ihnen kannten sich mit dem Thema überhaupt nicht aus.» Die sprühende Fantasie lag wohl auch daran, dass man es damals als fast unmöglich betrachtete, ein Ereignis zu erforschen, dass 66 Millionen Jahre in der Vergangenheit lag. Warum also überhaupt seriöse Ideen vorbringen? Beweisen lassen sie sich sowieso nie.
In den 1960er und 1970er Jahren fand zusehends ein Umdenken statt und die Wissenschaftsgemeinde legte die wilden Theorien beiseite und wendete sich stattdessen Pickel und Schaufel zu. Man begann, mehr Fossilien auszugraben. Dies vor allem aus der Zeit des Aussterbens. Bentons «professionelle Phase» war angebrochen.
Schnell wurde klar, dass die Dinosaurier bis zu ihrem Ende höchst vital waren. «Dinosaurier lebten in vielen verschiedenen Ökosystemen auf der ganzen Welt. Manche Dinosaurierlinien produzierten viel Nachwuchs, der schnell erwachsen und geschlechtsreif wurde. Andere waren Generalisten, die sich von einer Vielzahl von Tieren und Pflanzen ernähren konnten», sagt Hansen. «Viele Arten konnten sich also sehr schnell an neue Umweltbedingungen anpassen. Sie waren alles andere als ein Auslaufmodell. Damit gab es vor 66 Millionen Jahren absolut keinen Grund, warum die Dinosaurier aussterben sollten.»
Ihr Verschwinden liess sich also nur schwer erklären. Schliesslich schoben es die meisten Forschenden auf den Klimawandel, wobei man keine Erwärmung, sondern im Gegenteil eine markante Abkühlung als Grund für den Abgang der Dinos vermutete. Der vorherrschende Gedanke war ein gradueller Niedergang «und sicher nicht etwas so verrücktes wie ein Asteroideneinschlag», sagt Benton.
Doch genau das propagierten die beiden Physiker Luis Alvarez und sein Sohn Walter in einem wissenschaftlichen Fachartikel im Jahr 1980. Die beiden entdeckten in den 1970er Jahren bei geologischen Untersuchungen im italienischen Gubbio eine 66 Millionen Jahre alte Gesteinsschicht mit einem sehr hohen Gehalt an Iridium. Das war verwunderlich, denn Iridium ist eines der seltensten Metalle der Erdkruste. In Meteoriden und Asteroiden kommt das Metall jedoch in grösseren Mengen vor. Die beiden Physiker schlossen daraus, dass vor 66 Millionen Jahren ein gewaltiger Asteroid auf der Erde eingeschlagen haben musste und auch das Ende der Dinosaurier herbeigeführt hatte.
Ihre Theorie kam wie ein Paukenschlag. Als Physiker waren die Alvarez Aussenseiter und stiessen bei den Paläontologen auf Ablehnung. «Sie mussten in den folgenden Jahren viele weitere Beweise sammeln, um ernst genommen zu werden», sagt der Paläontologe Steve Brusatte von der Universität von Edinburgh. Die Physiker suchten erfolgreich nach Dingen, die ein grosser Asteroideneinschlag hinterlassen würde: Mineralien, die unter hohem Druck kollabierten, Glaskügelchen aus verflüssigtem Gestein, die herabregneten, Russ und verbranntes Material von den Feuern.
Schliesslich fand man auch den passenden Einschlagkrater in Mexiko, den berühmte Chicxulub-Krater, der heute von Dschungel und Meer verdeckt wird. «Nach etwa einem Jahrzehnt waren die Beweise unumstösslich. Vor 66 Millionen Jahren ist tatsächlich ein Asteroid auf die Erde gefallen», sagt Brusatte.
Bis heute ist die Erforschung dieser weit in der Vergangenheit liegenden Ereignisse im wahrsten Sinn des Worts Knochenarbeit. «Die Dinosaurier-Fossilien sind weit verstreut und unvollständig. Wir müssen sie wie Detektive an einem Tatort sammeln und interpretieren», sagt Brusatte. Heute hilft den Forschenden dabei auch Künstliche Intelligenz. Um die Rolle der Vulkanausbrüche zu klären, simuliert Chiarenza diese in einem Computermodell. «Da fliesst die Zusammensetzung der Atmosphäre während der Urzeit, die Artenvielfalt, Meeresströmungen, die Verteilung der Kontinente oder die Geographie der Landmassen mit ein», sagt Chiarenza. Die Überraschung: Seinen neusten Modellen zufolge haben die Vulkane den Dinos sogar geholfen. Die Erwärmung des Klimas brachte die Dinosaurier auf Hochtouren. Den anschliessenden Einschlag des Asteroiden haben sie trotzdem nicht überlebt.
Weiterführende Literatur und Film
Steve Brusatte, Aufstieg und Fall der Dinosaurier, Piper 2020
Riley Black, Die letzten Tage der Dinosaurier, Goldmann 2022
Prehistoric Planet, Doku über das Leben der Dinosaurier mit David Attenborough, BBC 2022 (englisch)
Shelley Emling, The Fossil Hunter, St. Martins Press-3PL, 2011 (englisch)
Erschienen im NZZ Geschichte Magazin, Dezember 2024