Ameisen füttern sich gegenseitig mit hochgewürgter Flüssigkeit. Dabei tauschen sie wichtige Informationen für das Wohlergehen der ganzen Kolonie aus.
Ameisen teilen sich nicht nur die Arbeit, sondern auch das Essen. Dabei würgen sie einen Tropfen flüssiger Nahrung wie Nektar oder Honigtau aus ihrem Sammelmagen hervor und übertragen diesen via Mund-zu-Mund-Kontakt an ihre Artgenossen. Dieses Phänomen heisst Trophallaxis und wird auch von anderen staatenbildenden Insekten wie Bienen oder Wespen praktiziert. Dabei geht es jedoch nicht nur um das Teilen von Kalorien. So werden mit dem Speichel auch Informationen über den Geruch und Geschmack der Nahrung weitergegeben, was den Arbeiterinnen das Auffinden einer Futterquelle erleichtert. Forscher vermuten darum seit langem, dass die Trophallaxis noch viele weitere Funktionen hat.
Licht ins Dunkel bringt nun die Forschungsgruppe der Biologin Adria LeBoeuf von der Universität Freiburg. Dank grossen Fortschritten bei den Analyseverfahren in den letzten Jahrzehnten, kann sie nun in die winzigen Futtertröpfchen eintauchen und ihrer Zusammensetzung auf den Grund gehen. Dabei kommt sie der Bedeutung der Trophallaxis langsam auf die Spur. «Im Speichel versteckt sich eine komplexe Form der Kommunikation», sagt LeBoeuf. «Sie besteht nicht aus Wörtern, sondern aus Molekülen.» Es ist eine Art soziales Netzwerk, das auf Erbrochenem basiert.
Mit ihm könnten sich beispielsweise Krankheiten abwehren lassen, wie LeBoeuf vermutet. Sie hat im Speichel der Ameisen Moleküle gefunden, die der Immunabwehr von Bakterien, Pilzen und Viren dienen. «Das könnte ähnlich funktionieren wie bei Neugeborenen, die über die Muttermilch ihr Immunsystem aufbauen», sagt LeBoeuf.
Die grösste Bedeutung hat die Trophallaxis jedoch für den Nachwuchs. «Wir haben im Speichel Wachstumshormone entdeckt, welche die Entwicklung der Larven anregt.» Die Arbeiterinnen fügen ihrer gesammelten Nahrung mal mehr mal weniger Wachstumshormone bei und können dadurch über das Tempo der Entwicklung der Larven bestimmen.
«Damit wird das Wachstum des Staates zu einer demokratischen Angelegenheit», sagt LeBoeuf. «Jede Ameise bekommt durch die Menge an Wachstumsregulatoren in ihrer hochgewürgten Flüssignahrung ein Mitspracherecht. Da die Nahrung von einer Ameise zur nächsten weitergegeben wird, landet er schliesslich auch bei den Larven.» Das heisst, eine Ameise, die irgendwo im Wald Blattläuse melkt, kann durch das soziale Netzwerk die zukünftige Grösse der Kolonie beeinflussen.
Die Arbeit von LeBoeuf stösst bei anderen Ameisenforschern auf reges Interesse. «Ich finde das sehr spannend», sagt etwa der Zoologe Jan Oettler von der Universität Regensburg. «Allerdings sollte man das nicht auf alle Arten verallgemeinern.» Denn die Trophallaxis wird nicht von allen Ameisenarten eingesetzt. «Bei manchen Arten fressen die Larven selber und werden nicht mit einem vorverdauten Nahrungsbrei versorgt.» Bei ihnen regulieren die Arbeiterinnen das Wachstum der Larven über andere Mechanismen wie beispielsweise Beissen. «Daneben gibt es auch Arten, bei denen die Entwicklung im Ei bereits vorbestimmt ist. Dort haben die Arbeiterinnen keine Chance, irgendwas zu steuern», sagt Oettler.
Wie die Mechanismen hinter der Kommunikation durch Trophallaxis im Detail funktionieren, versucht das Labor von LeBoeuf zurzeit mit einem ausgefallenen Experiment herauszufinden. Dabei füttern sie Arbeiterinnen fluoreszierende Nahrung, das mit Wachstumsregulatoren angereichert ist. «Je mehr eine Larve davon bekommt, desto mehr leuchtet sie, wenn wir sie unter UV-Licht betrachten», sagt LeBoeuf. Die Larven werden dabei von einem Computer überwacht. Dieser zeichnet die Entwicklung jeder Larve auf, selbst dann, wenn sie von den Arbeiterinnen im Raum verschoben werden. «Wir können nun dabei zuschauen, wie die Ameisen die Entwicklung ihrer Larven kontrollieren und zwar Malzeit für Malzeit.»
Erschienen in Horizonte.