Pilze erzeugen elektrische Pulse. Das wollen Forscher nutzen, um aus ihnen Sensoren und Rechenmaschinen herzustellen, die biologisch abbaubar sind.
Dass man aus Pilzen Hühnchenbrust-Imitat und vegane Burger machen kann, ist bekannt. Nun gehen Forschende aus England einen Schritt weiter: Sie wollen aus Pilzen Computer herstellen. Kürzlich haben sie ihre Ideen dazu als Serie von Fachartikeln in Buchform unter dem vielsagenden Titel «Fungal Machines» publiziert.
Die verrückte Idee stammt vom Unconventional Computing Laboratory, das an der University of the West of England in Bristol angesiedelt ist. Dort forscht man an alternativen und bisweilen bizarren Verfahren, um elektronische Bauteile, Schaltkreise und Sensoren herzustellen. Der Leiter und Gründer des Labors ist der Computerwissenschaftler Andrew Adamatzky.
Er hat in den letzten zwei Jahrzehnten bereits Rechenmaschinen gebaut, die unter anderem Pflanzenwurzeln, Kristallisationsprozesse oder Schwärme von Sandkrabben beinhalteten. «Ich habe das Labor gegründet, um verrückte Dinge zu tun und um verrückte Materialien für die Entwicklung von Computern zu verwenden», sagt Adamatzky. Finanziert wurde er unter anderem von der EU.
Was im ersten Moment tatsächlich etwas irre tönen mag, hat durchaus einen ernsthaften Hintergrund: «Herkömmliche Computer-Chips enthalten oft teure Materialien wie beispielsweise seltene Erden. Zudem fallen jedes Jahr weltweit Millionen von Tonnen Elektroschrott an, der riesige Umweltprobleme verursacht. Pilze lassen sich vergleichsweise günstig züchten und wenn man sie nicht mehr braucht, kompostiert man sie im Garten», sagt Adamatzky.
«Ich habe das Labor gegründet, um verrückte Dinge zu tun.»
Aber wie bloss soll aus einem lebenden Organismus ein Schaltkreis werden? Das funktioniert, weil Pilze buchstäblich unter Strom stehen. «Pilze erzeugen elektrische Pulse, die denen der menschlichen Neuronen ähneln. Mit Hilfe von Elektroden können wir sie messen und auch manipulieren», sagt Adamatzky. Dazu hat er auf gehäckseltem Stroh so genanntes Mycel gezüchtet. Das ist der Pilz, solange er noch keine Fruchtkörper gebildet hat. «Wir verwenden bevorzugt Austernpilze, weil sich diese leicht züchten lassen.»
Die Elektroden werden in regelmässigen Abständen in das Mycel gesteckt. Dadurch lassen sich die elektrischen Pulse verfolgen. Adamatzky stellte fest, dass sie alle paar Minuten auftreten und das ganze Gewebe durchwandern. Es wird vermutet, dass die Pilze so die Geschwindigkeit und die Richtung ihres Wachstums steuern.
Die Pulse erlauben es den Forschern, mit dem Pilz zu kommunizieren. «Wenn man einen mechanischen Druck auf das Mycel ausübt, steigt die Frequenz der Pulse. Dasselbe passiert, wenn Licht auf das Mycel fällt», sagt Adamatzky. Der Pilz antwortet also auf einen äusseren Reiz wie Druck oder Licht. Damit lässt sich bereits ein einfacher Gewichts- oder Lichtsensor bauen.
Die Frequenz der Spikes kann auch durch leichte Stromstösse beeinflusst werden. Dazu wird der Strom durch die Elektroden in das Mycel geleitet. Mehr noch, der Pilz speichert den aufgenommenen Strom für einige Sekunden. Damit verhält er sich wie ein Kondensator, also quasi eine kleine Batterie. «Mit diesen Fähigkeiten können Pilze viele gängige logische Rechenoperationen ausführen», sagt Adamatzky. Unter anderem etwa die Funktionen «und», «oder», «und nicht».
Einen grossen Haken hat die Sache allerdings. Die Frequenz der Pulse ist unglaublich tief. Beim Austernpilz tritt ein Puls alle acht Minuten auf. Andere Arten bringen immerhin einen alle drei Sekunden hervor. Damit sind Pilze im besten Fall rund drei Millionen Mal langsamer getaktet als die ersten Desktop Computer aus den 1970er Jahren. Spiele mit hochauflösenden Grafiken oder die Berechnung der Flugbahn einer Weltraumsonde wird mit einem Pilz-Computer nicht möglich sein.
Das sieht auch der Experte für theoretische Informatik an der ETH Johannes Lengler so: «Ein herkömmlicher Computerchip hat gegenüber biologischen Systemen einige Vorteile, die nur schwer zu schlagen sind. Dazu zählt unter anderem die extrem schnelle Taktung, die weit fortgeschrittene Miniaturisierung sowie die unglaublich kleine Fehlerrate.»
Adamatzky sieht eine erste Anwendung seiner Pilz-Computer denn auch in Bereichen, in denen es nicht so auf Geschwindigkeit und Genauigkeit ankommt. Etwa bei der langfristigen Umweltbeobachtung. «Langsame Prozesse wie das Wachstum von Bäumen oder die Bewegung von Fels an einem Steilhang könnte man mit Pilzsensoren überwachen», sagt er.
Eine grosse Hürde ist die Tatsache, dass Pilze konstant mit Nährstoffen und Wasser versorgt werden müssen. Fehlt eines von beidem, sterben sie schnell ab und der Computer ist dahin. Um das Problem zu umgehen, will Adamatzky dem Tod zuvorkommen und das Mycel in getrocknetem also abgetötetem Zustand einsetzen. Damit die elektrische Leitfähigkeit trotzdem gewährleistet ist, plant er den Einsatz von leitfähigen Nanopartikeln, die in den feinen Fäden des Mycels eingelagert werden.
Dünne Schichten von diesem halb biologischen halb technologischen Material könnten in Zukunft im Bereich der intelligenten Kleidung eingesetzt werden, träumt Adamatzky. «Man könnte aus ihnen biologisch abbaubare Sensoren herstellen, die in die Kleidung integriert werden. Diese überwachen verschiedene Gesundheitsparameter wie Körpertemperatur, den Wasserhaushalt oder sogar Schadstoffe in der Umwelt.»
Doch sowohl nach Adamatzkys als auch nach Lenglers Einschätzung wird es noch viele Jahre dauern, bis ein solches Produkt geschweige denn ein ganzer Pilz-Computer entwickelt ist und auf dem Markt kommt. «Das Projekt scheint mir doch sehr von wissenschaftlicher Neugier getrieben als von einer baldigen Anwendung», sagt Lengler. «Nichtsdestotrotz sind solche originellen Ansätze absolut zu begrüssen, weil sie uns Möglichkeiten eröffnen, an die vorher niemand gedacht hat.»
Erschienen in der NZZ am Sonntag.