Weltweit verändern sich Wälder dramatisch. Sie zerfallen in kleine Fragmente und alte Bäume sterben ab. Schuld daran ist nicht nur der Klimawandel.
Die verheerenden Brände in Amerika und Europa dieses Jahr haben einmal mehr gezeigt, wie sehr der Wald unter Druck steht. Neben dem Feuer machen ihm auch Klimawandel, Abholzung sowie Schadinsekten das Leben schwer. Dieser Cocktail aus tödlichen Zutaten führt derzeit zu einem der schnellsten Veränderungsprozessen, welche die Wälder seit der letzten Eiszeit je erlebt haben. Das belegen aktuelle Studien. Nadelbäume werden von Laubbäumen verdrängt, Laubbäume von Sträuchern und Sträucher von Kräutern und Gräsern. Der Wald schrumpft, wird offener oder er verschwindet gleich ganz.
Zutat Nummer eins für den Cocktail ist der Klimawandel. «Es kommt zu einer Umverteilung des Niederschlags. Es gibt weniger im Sommer, wenn die Bäume wachsen, aber dafür mehr im Winter, wenn sie ruhen. Für viele Bäume bedeutet das Stress», sagt der Waldökologe Jonas Glatthorn von der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL.
Zu den Baumarten, die das neue Regime besonders schlecht vertragen, zählen Fichte und Buche. «Es ist denkbar, dass sie in Zukunft ganz von den trockenen Standorten verschwinden. Vielleicht sterben auch nur die grossen alten Bäume ab, während sich die jungen und kleinen Bäume halten können. Denn Jungbäume sind eher dazu in der Lage, sich an die neuen Bedingungen anzupassen», sagt Glatthorn. Der Wald der Zukunft wird sich also schrumpfen, um klimaresistent zu sein. Das Konzept des alten knorrigen Baums hat ausgedient.
«Es ist als würde der Wald von innen heraus aufgefressen.»
Schon heute zeigt sich der Prozess der Schrumpfung auf dramatische Weise in den Tropen. Dort leidet die Pflanzenwelt noch viel stärker unter dem Klimawandel. «Ein Grad Celsius mehr macht in den Tropen viel aus. Das mögen die Pflanzen gar nicht», sagt Marielle Smith, Waldökologin an der Bangor University in Grossbritannien. Sie hat die Veränderungen im Amazonas Regenwald mittels Lasermessungen aus der Luft untersucht. «Grosse Bäume leiden besonders. Sie sterben bei einer zu langen Trockenperiode als erstes», sagt Smith. «Wenn man mit einem Flugzeug über den Regenwald fliegt, sieht man deutlich, dass er offener und niedriger wird. Es ist als würde er von innen heraus aufgefressen.»
Zutat Nummer zwei ist das Feuer. Die Biologin Ellen Whitman beim kanadischen Forstdienst in Alberta untersucht die Auswirkungen von Bränden auf die Baumbestände. In Kanada wüteten heuer über sechstausend Einzelfeuer auf einer Fläche viereinhalb mal so gross wie die Schweiz. «Mit der vermehrten Trockenheit in Teilen Nordamerikas sind Wälder entflammbarer geworden. Die Häufigkeit der Feuer hat auch zugenommen. Diese Kombination führt zu einer grundlegenden Veränderung des Ökosystems», sagt Whitman.
Eigentlich sind die Fichten- und Kiefernwälder von Nordkanada bestens an Feuer angepasst. Denn die Bäume produzieren Jahr für Jahr Zapfen mit vielen Samen darin. Diese fallen nach einem Feuer zu Boden, wo sie keimen und als Sprösslinge ihre verbrannten Eltern ersetzen.
«In den Gebieten, die in kurzer Zeit erneut in Flammen aufgehen, stirbt der Nachwuchs ab, bevor er selbst Samen hervorbringen kann», sagt Whitman. «Dort ist eine Verschiebung weg von Bäumen hin zu Sträuchern und Gräsern zu beobachten. Dadurch wird das Erscheinungsbild offener und fast schon savannenartig.»
Einen ähnlichen Prozess beobachten Forscher im Südosten Australiens. Dort tilgen die häufigen Brände gerade die imposantesten Wälder der südlichen Hemisphäre. Sie bestehen aus Riesen-Eukalyptus, der über hundert Meter hoch werden kann. «Mässiges bis starkes Feuer tötet die Bäume ab», sagt der Waldhydrologe Patrick Lane von der Universität von Melbourne. Auch hier haben sich die Bäume mit Samen rückversichert. «Das Timing ist allerdings sehr wichtig. Die Bäume brauchen zwanzig Jahre, bis sie zum ersten Mal Samen abwerfen. Kommt das Feuer vorher, verschwindet der Eukalyptus-Wald über Nacht. Meist werden sie dann von niedrigeren und schnellwachsenden Baumarten wie Akazie ersetzt.»
Zutat Nummer drei ist die Abholzung. Gemäss eines kürzlich veröffentlichen Berichts des World Ressource Institutes, einer Umweltdenkfabrik in Washington, geht weltweit pro Jahr eine Fläche so gross wie die Schweiz durch Abholzung verloren. Am stärksten betroffen sind die Tropen in Südamerika und Afrika. Daneben ist Russland ein grosser Treiber der Abholzung des borealen Nadelwaldes. Sein Holz wird unter anderem als Baumaterial und als Ausgangsstoff für WC-Papier exportiert.
Der Kahlschlag führt zur so genannten Fragmentierung des Waldes. Das heisst, eine ehemals grosse geschlossene Fläche wird in kleinere Stücke aufgebrochen, wie schmelzende Eisschollen auf dem Meer. Damit treten die unter Ökologen gefürchteten Randeffekte auf. «Der Waldrand ist mikroklimatischen Bedingungen wie Hitze, Trockenheit und Wind ausgesetzt», sagt der Umweltwissenschaftler David Skole von der Forstabteilung an der Michigan State University. Er untersucht die globalen Waldveränderungen mit Hilfe von Satellitenbildern. «Der Wald trocknet vom Rand her aus. Das verändert die Wachstumsbedingungen in den Fragmenten und führt zu einem Absterben der Bäume», sagt Skole.
Randeffekte betreffen inzwischen den grössten Teil der weltweiten Waldgebiete. 70 Prozent ihrer Fläche liegt weniger als einen Kilometer vom nächsten Waldrand entfernt und damit im Wirkungsbereich der Randeffekte. Sie führen zur schleichenden Degenerierung des Waldes. Skole hat berechnet, dass in manchen Gebieten wie etwa im Amazonas die degenerierte Fläche sogar grösser ist als die bereits abgeholzte Fläche.
Zutat Nummer vier sind Schädlinge wie der Borkenkäfer. Der Zusammenhang ist einfach, erklärt Glatthorn. «Je wärmer es wird, desto mehr Borkenkäfer gibt es. In der Vergangenheit war die Vegetationsperiode eher kurz und es waren ein bis zwei Generationen von Käfern möglich. Heute ist die Vegetationsperiode länger und plötzlich sind drei Generationen möglich.»
In Europa hat die Käfer-Armada mit den ohnehin von der Trockenheit geschwächten Fichten ein leichtes Spiel. Im Harzgebirge in Deutschland richteten sie Tausende von Hektaren Fichten-Monokultur zugrunde. 90 Prozent des Bestandes ist bereits zerstört.
Die Auswirkungen der globalen Waldveränderung sind einschneidend. Viele ökologische Funktionen bleiben auf der Strecke, sagt Whitman. «Es gibt Veränderungen bei der Wasserversorgung, Verlust von Lebensraum für Tierarten, Verlust der Holzversorgung aber auch emotionaler Schmerz, wenn sich ein geliebter und vertrauter Ort auf dramatische und dauerhafte Weise verändert.» Besonders bei der Artenvielfalt tut es weh. Aktuelle Studien rechnen damit, dass in einem durch Feuer oder Abholzung gestörten Wald die Artenvielfalt um bis zu 75 Prozent einbrechen kann.
In der Schweiz schaut man indes mit Besorgnis auf eine mögliche Einschränkung der Schutzwaldfunktion. In der Ablösezeit vom alten zum neuen Wald könnten Schneelawinen, Steinschlag oder Starkniederschlag nicht mehr so zuverlässig abgehalten werden, wie wir es gewohnt sind. «Das wird zurzeit intensiv erforscht», sagt Glatthorn. «Wir machen Wachstumsmodelle und versuchen, die zukünftigen Bestände zu simulieren.» In der Schweiz wartet man jedoch nicht darauf, bis sich ein natürlicher Ersatz für Fichten und Buchen findet. «Wir betreiben hier den so genannten klimaadaptiven Waldbau», sagt Glatthorn. «Das heisst, wir erhöhen bereits jetzt die Artenvielfalt und fördern Baumarten, die mit dem neuen Klima besser zurechtkommen. Beispielweise die Eiche, der Bergahorn oder die Weisstanne.»
In Australien und Kanada arbeitet man an schnelleren Einsatzzeiten bei der Brandbekämpfung. Aber auch an nachträglichen Massnahmen wie dem Ausbringen von Baumsamen nach Waldbränden, die kurz hintereinander folgen. «Ein anderer Ansatz ist, dass wir einfach akzeptieren, dass sich Wälder stark verändern werden und uns überlegen, wie wir wenigstens einen kleinen Teil von ihnen bewahren können», sagt Lane. Etwa, indem man Schutzzonen einrichtet. So sieht es auch Smith mit dem Amazonas: «Wir wissen schon lange, was zu tun ist: Wir müssen den Wald konsequent unter Schutz stellen.»
Erschienen in der NZZ am Sonntag.