Invasive Arten sind eines der grössten Umweltprobleme. Angetrieben vom internationalen Handel reisen Tiere und Pflanzen um die ganze Erde und bringen die Natur durcheinander.
Sie reisen mit dem Lastwagen, dem Frachtschiff oder gar mit dem Flugzeug. Wo sie hinkommen, zerstören sie Häuser, übertragen Krankheiten, überwuchern Felder, Wiesen und Wälder und verändern ganze Ökosysteme. Invasive Arten sind auf dem Vormarsch und zählen inzwischen zu einem der grössten Umweltprobleme unserer Zeit.
Dass Tiere und Pflanzen mit Hilfe des Menschen Kontinente, Wüsten und Ozeane überwinden ist an sich nichts neues. Das gibt es, seit sich vor zweitausend Jahren der Handel entlang der
Seidenstrasse etabliert hat. Neu ist die Geschwindigkeit, mit der die Arten von einer Weltgegend in die nächste gelangen.
Die Zahl der so genannten exotischen oder der nicht-heimischen Arten stieg über die Jahrhunderte exponentiell an, wie Hanno Seebens, Umweltwissenschaftler am Senckenberg Biodiversität und Klima
Forschungszentrum in Frankfurt berechnete. Waren es im Jahr 500 nach Christus weltweit gerade mal 30 Arten, zählte man im Jahr 2000 bereits über 17 000 Arten, die ihre angestammte Heimat
verlassen haben und sich irgendwo auf der Welt niederliessen. Und der Trend geht weiter
«Die Zahl der exotischen Arten wächst kontinuierlich als eine Folge der Globalisierung. Aufgrund der immer intensiveren Vernetzung nahezu aller Regionen der Welt durch Handel und Tourismus werden
auch immer mehr Arten in fremde Länder gelangen. Da ein Ende der Globalisierung nicht in Sicht ist, ist auch ein Ende der Zunahme der exotischen Arten nicht zu sehen», sagt Seebens.
Zum Glück gliedern sich die meisten dieser Neuankömmlinge in die bestehenden Ökosysteme ein, ohne Schaden anzurichten. Doch manche von ihnen verursachen grosse Probleme. Sie breiten sich auf
Kosten der heimischen Arten aus und werden damit «invasiv», so wie beispielsweise der Asiatische Marienkäfer. Er macht heute zwischen 60 bis 80 Prozent der Marienkäferpopulation der Schweiz aus.
Der grösste Treiber hinter der Ausbreitung von exotischen Arten ist der Handel. «Die meisten gelangen mit Containerschiffen in fremde Länder. Daneben werden viele Pflanzen über den Gartenbau
eingeschleppt oder sie machen erst den Umweg über botanische Gärten, Parkanlagen oder Privatgärten und schaffen von dort den Sprung in Wiesen und Wälder», sagt Seebens. «An den Pflanzen und in
deren Erde reisen beispielsweise Insekten mit. Anderen Spezies wie Amphibien oder Reptilien gelingt die Flucht aus der Haustierhaltung.»
Besonders betroffen sind Regionen, die schon lange in die globalen Handelsströme eingebunden sind wie Grossbritannien und deren ehemalige Kolonialgebiete USA, Australien oder Südafrika. Ebenso
sind Inseln wie Hawaii oder Galapagos zu wahren Umschlagplätzen von invasiven Arten geworden. «Auf Inseln gibt es viele Pflanzen oder Tiere, die den europäischen Einwanderern wie Katzen, Ratten
oder Ziegen wenig entgegenzusetzen haben», sagt Seebens.
In der Schweiz werden von den Kantonen allein für die Bekämpfung von invasiven Pflanzen gemäss einer Schätzung von Pro Natura rund 20 Millionen Franken ausgegeben. Dabei nicht miteinberechnet
sind Gesundheitskosten, die beispielsweise durch die allergenen Pollen der eingeschleppten Pflanzenart Ambrosia verursacht werden. Umfassendere Berechnungen aus den USA ergaben, dass dort
invasive Arten 120 Milliarden Franken pro Jahr an Kosten generieren.
Neuankömmlinge
Fast jedes Jahr kommen neue invasive Arten über die Schweizer Grenze. So zum Beispiel die aus Südostasien stammende Asiatische Hornisse. Vermutlich hat sie die weite Reise als blinder Passagier mit einem Frachtschiff gemacht. 2005 wurde sie in Südwestfrankreich erstmals entdeckt. Im April 2017 hat sie den Sprung über die Schweizer Grenze geschafft. Die neue Art könnte zu einem Problem für die Schweizer Honigbienen werden, weil diese zur Hauptnahrung der Hornisse zählen.
Ebenfalls erst kürzlich eingewandert ist der Japankäfer. «Er ist die jüngste invasive Art und wurde letztes Jahr zum ersten Mal im Tessin gefunden», sagt der Insektenspezialist Tim Haye vom
Forschungszentrum Cabi Switzerland.
Der Japankäfer gleicht unserem Maikäfer und genau wie dieser ist er sehr gefrässig. 295 Pflanzenarten stehen auf seinem Speiseplan. Darunter sind Mais, viele Gemüse und viele Fruchtarten.
«Das Zerstörungspotenzial des Japankäfers ist ziemlich hoch», sagt Haye. In den USA, wo er um 1916 eingeführt wurde, ist er zu einer grossen landwirtschaftlichen Plage geworden. Dort verursacht
er jedes Jahr Kosten von 460 Millionen Dollar. «Ein ähnliches Szenario ist auch in Europa denkbar», sagt Haye.
Ballastwasser
Im Ballastwasser von Schiffen werden invasive Arten um die ganze Welt transportiert. Damit soll nun Schluss sein. 2017 wurde das so genannte «Ballastwasser-Übereinkommen» von 59 Staaten inklusive Deutschland und der Schweiz ratifiziert. Diese Länder decken rund zwei Drittel der weltweiten über Weltmeere transportierten Güter ab. Unter anderem sieht es vor, dass Schiffe ihr Ballastwasser renigen, bevor sie es ablassen. Das passiert in zwei Stufen: Zuerst wird es durch ein feinmaschiges Stahlnetz gefiltert. Dort bleiben alle Organismen hängen, die grösser als 40 Mikrometer sind. Die zweite Stufe besteht entweder aus einer chemischen oder einer physikalischen Behandlung des Wassers. Bei letzterer wird das Wasser durch durchsichtige Röhren geleitet, die mit starkem UV-Licht bestrahlt werden. Es tötet alle Lebewesen ab. Bei der chemischen Behandlung wird dem Wasser Ozon beigemischt. Es besitzt eine stark desinfizierende Wirkung und tötet Mikroorganismen wie Larven oder Bakterien effizient ab.
Bekämpfung
Eine der grösseren Bekämpfungs-Aktionen, die in den letzten Jahren für Aufsehen gesorgt hat, ist die Jagd nach eingeschleppten Pythons in Florida. Dort sind diese südostasiatischen Würgeschlangen 1992 aus einer Zuchtfarm entwischt. Seitdem haben sie sich so stark vermehrt, dass heute die unglaubliche Zahl von 150 000 Exemplaren durch das Unterholz kriecht und viele der heimischen Tiere frisst.
Als Gegenmassnahme hat die Regierung im Jahr 2016 damit begonnen, Privatpersonen als Pythonjäger auszubilden. Der Staat Florida bezahlt die Hobby-Jäger gemäss einer Erfolgsprämie. Pro Meter
Schlange erhalten sie 75 Dollar. Wenn jemand ein Nest findet und die Eier zerstört, gibt es 100 Dollar. Bis heute wurden allerdings erst wenige Tausend Schlangen erlegt – ein Bruchteil der
Gesamtpopulation.
Noch einen Schritt weiter geht Hawaii. Es ist gerade daran, eine eigene Regierungs-Behörde für den Kampf gegen invasive Arten zu gründen. Hawaii ist in den letzten zwanzig Jahren besonders hart
von der Invasion getroffen worden. Die Neuankömmlinge überwuchern ganze Urwälder, zerstören Kaffeeplantagen, übertragen Krankheiten auf Menschen und zerstören die Häuser der Bewohner. «Mit dem
Behörden-Modell gäbe es mehr Ressourcen in Form von Personal und Projektgelder», sagt Joshua Atwood vom Hawaii Invasive Species Council. Demnach soll das Budget für die Bekämpfung von 4 Millionen
Franken auf 10 Millionen aufgestockt werden.
Neue Territorien
In den nächsten Jahrzehnten werden invasive Arten selbst in die Gegenden vordringen, die bisher zu kalt und unwirtlich für sie waren. Wegen der fortschreitenden Klimaerwärmung eröffnet sich an den Polregionen ein riesiges neues Territorium. Das belegt unter anderem eine Studie der Ozeanografin Jesica Goldsmit vom kanadischen Institut Maurice Lamontagne. Sie hat die Verbreitung von acht häufigen invasiven Meeresarten untersucht. Unter ihnen die Königskrabbe, die Gemeine Strandkrabbe oder die Grosse Strandschnecke.
«Unsere Computermodelle sagen voraus, dass bis zur Mitte des Jahrhunderts alle acht Arten in der kanadischen Arktis einen günstigen Lebensraum vorfinden werden», sagt Goldsmit. «Das könnte einen
massiven Einfluss auf die heimische Fauna und Flora haben. So ernährt sich die Königskrabbe von hundert verschiedenen Arten. Dadurch konkurriert sie mit den ansässigen Fischen um Nahrung.»
Die Ausbreitung in die Polregionen geht mit einem Anstieg des Schiffsverkehrs einher. Einerseits gibt es mehr Projekte, um Ressourcen wie Erdöl abzubauen. Andererseits steigt der Tourismus an.
Eine Studie aus der Antarktis ergab, dass jeder Tourist unbeabsichtigt durchschnittlich drei gebietsfremde Pflanzensamen auf sich führt.
Anpassung
Vielerorts beginnt sich die Natur an invasive Arten anzupassen. In Australien etwa haben Krähen herausgefunden, wie sie die giftigen Agakröten gefahrlos fressen können. Die Kröten breiten sich immer noch unkontrolliert über den Kontinent aus. In ihrer Haut produzieren sie ein Gift, das sie für Fressfeinde zur Todesmalzeit macht.
Um an das ungiftige Krötenfleisch im Innern der Tiere heranzukommen, packen die Krähen die Amphibien an den Beinen, wo es keine Giftdrüsen gibt. Wie ein Judo-Kämpfer werfen die Krähen ihre Opfer
mehrfach auch den Rücken, bis diese liegen bleiben. Dann beginnen die Krähen deren Zunge herauszupicken. Es folgt die Speiseröhre und schliesslich ziehen sie die gesamten Innereien der Kröte
gefahrlos aus deren Mund heraus.
Auf der Insel Sylt vollzieht sich die Anpassung in noch grösserem Massstab. Dort haben sich in den letzten Jahrzehnten eingeschleppte Pazifische Austern unkontrolliert ausgebreitet und Teile des
Wattenmeers in ein regelrechtes Riff verwandelt. Erst befürchteten die Forscher, dass das gesamte Wattenmeer überwuchert wird. Doch es kam ganz anders. Krankheiten dämmten das Wachstum der
Austern ein, indem sie in manchen Jahren alle Larven abtöten. Damit wurde die Ausbreitung des Riffs gestoppt.
Ideologie
Gerade weil sich invasive Arten nach einer Weile in ein bestehendes Ökosystem eingliedern können, halten manche Forscher sie unter Umständen für nützlich. Kürzlich hat der Meeresbiologe Aaron Ramus von der Universität von North Carolina Wilmington eine Studie veröffentlicht, in der er den Effekt der aus Japan eingeschleppten Algenart Gracilaria auf die Ostküste der USA untersuchte. Es zeigte sich, dass die Alge einen guten Ersatz für das heimische Seegras abgibt. Letzteres geht durch Abwässer und Überdüngung immer mehr zurück. Garcilaria übernimmt die ökologische Funktion des Seegrases und bietet damit vielen Fischen, Krebsen und Muscheln einen Lebensraum.
«Wir verwenden Millionen von Dollar, um invasive Arten zu bekämpfen. Doch was ist, wenn einige dieser Arten gut für die Artenvielfalt und die heimischen Ökosysteme sind?», sagt Ramus. «Meine
Studie hinterfragt den traditionellen Blick auf invasive Arten. Meistens betrachten Forscher sie von vornherein als schlecht. Doch das entspricht nicht der Realität. Darum müssen Naturschützer
ihr Schwarz-Weiss-Bild revidieren und dazu übergehen, dass sie sich ernsthaft fragen, wann eine eingeführte Art negative oder eben positive Effekte hat.»
Erschienen in der NZZ am Sonntag