In der Schweiz stösst der Wolf grösstenteils auf Abneigung. Doch es gibt Gebiete, in denen ihm die Menschen mit Zuneigung begegnen. Wenigstens so lange, bis er tatsächlich dort auftaucht.
Der Wolf breitet sich in der Schweiz aus. In den letzten Wochen gab es Sichtungen aus dem Kanton Freiburg, dem Misox und dem Zürcher Oberland. Diesen Erkundungsgängen einzelner Tiere folgt
irgendwann die Sesshaftigkeit. Doch wo der Wolf sein nächstes dauerhaftes Lager aufschlagen wird, weiss niemand. Eine Ahnung davon gibt jetzt eine neue Karte, welche Forscher der Universität
Zürich publiziert haben. Sie zeigt nicht nur, wo es günstigen Lebensraum für den Wolf gibt, sondern auch, wo er bei der Bevölkerung am meisten akzeptiert wird. Beides bestimmt letztendlich
darüber, ob er sich ansiedeln kann oder nicht.
Demnach sind im Wallis und in den Zentralalpen die natürlichen Bedingungen für den Wolf zwar ideal, die Akzeptanz in der Bevölkerung ist jedoch klein. Darum hat es der Wolf dort schwer, Fuss zu
fassen. Im Mittelland und in den Städten ist die Akzeptanz am grössten. Doch dort fehlen die natürlichen Grundvoraussetzungen wie Wald und Nahrungsangebot. Zudem meiden Wölfe Gebiete, in denen
viele Menschen leben.
Die Karte zeigt, dass die idealsten Gebiete mehrheitlich im Jura, in der Ostschweiz und im Tessin liegen. «Dort stimmen Natur und die Akzeptanz überein», sagt Studienautor Dominik Behr vom
Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften der Universität Zürich. «Die Karte muss allerdings grossräumig betrachtet werden. Sie kann nicht auf den Punkt genau voraussagen, wo sich
Wölfe dereinst erfolgreich ansiedeln werden», sagt Behr.
Für die Studie hat er und seine Kollegen 10 000 Fragebogen an Haushalte in der ganzen Schweiz verschickt. Ein Drittel davon kam beantwortet zurück. Die wichtigste Frage war: «Sind Sie für oder
gegen wildlebende Wölfe in der Schweiz?» Zu jeder befragten Person wurden geographische Angaben zum Wohnort erfasst wie etwa Höhe über Meer, die Bevölkerungsdichte aber auch die Präsenz von
Schafherden und die Entfernung zur nächsten nachgewiesenen Wolfssichtung. Aus diesen Daten haben die Forscher ein geographisches Vorhersagemodell berechnet. Das ist vergleichbar mit einer
Wetterkarte, nur dass sie nicht Hochdruckgebiete zeigt, sondern die Liebe zum Wolf.
«Der Vorteil von diesem Vorgehen ist, dass wir aus den rund dreitausend Rückmeldungen nun flächendeckend für alle Orte der Schweiz Vorhersagen machen können», sagt Studienleiter Gabriele Cozzi,
ebenfalls vom Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften.
Beispielsweise gilt: Je höher ein Wohnort liegt, desto grösser ist die Abneigung gegenüber dem Wolf. Diese verstärkt sich noch, wenn es viele Schafe in der Nähe gibt. «Wo Schafe sind, da
offenbart sich der Bevölkerung der Konflikt zwischen Wolf und Mensch», sagt Cozzi. Im Gegenteil dazu weisen tief gelegene Gebiete und jene die weit weg vom Wolf sind eine grosse Akzeptanz auf,
unabhängig davon wie viele Schafe in der Nähe leben.
Die Karte ist eine Momentaufnahme. «Wenn der Wolf in die günstigen Gebiete vordringt, könnte die Stimmung sehr schnell kippen. Denn unser Modell zeigt auch, dass mit der Nähe zum Wolf die
Akzeptanz sinkt», sagt Cozzi.
Seine Vermutung ist, dass das mit dem Vorwissen zu tun hat. «Unsere Umfrage hat gezeigt, dass die Bevölkerung teilweise schlecht über den Wolf Bescheid weiss und ihm darum abgeneigt sind.
Beispielsweise hat ein Drittel der Befragten geglaubt, dass sich der Wolf hauptsächlich von Nutztieren ernährt. «Dies könnte an der Berichterstattung der Medien liegen, weil im Fernsehen und in
den Zeitungen der Wolf und gerissene Schafe sehr oft im gleichen Atemzug erwähnt werden», sagt Cozzi.
Er wünscht sich darum, dass mehr über den Wolf informiert wird. Denn nur so bleibt die Haltung der Bevölkerung langfristig positiv. Der Trend geht im Moment jedoch eher in Richtung Abwertung.
«Unsere Studie belegt, dass die Akzeptanz in der Schweiz in den letzten drei Jahren generell gesunken ist», sagt Cozzi.
Dies steht im Widerspruch zum Schutzstatus des Wolfes. Auf Bundesebene gilt er als bedrohte Art mit hoher Priorität, was Schutzmassnahmen anbelangt. Trotzdem gibt es weder beim Bund noch bei den
Kantonen eine Informations-Strategie zur Förderung seiner Akzeptanz.
Es sei schwierig, vorgängig das Interesse für den Umgang mit dem Wolf zu wecken, sagt Marcel Tschan, Jagd- und Fischereiverwalter des Kantons Solothurn. «Wir rechnen fest damit, dass der Wolf
auch bei uns kommt. Doch die Leute interessiert das erst, wenn er auch wirklich vor der Tür steht.»
Reinhard Schnidrig, Leiter der Sektion Wildtiere und Waldbiodiversität am Bundesamt für Umwelt (BAFU), führt indes politische Gründe für die mangelhafte Aufklärungsarbeit ins Feld. «Auf Kampagnen
zur Akzeptanzförderung verzichtet das BAFU bewusst, denn solche Aktivitäten würden uns sofort als einseitige Schutzmotivation ausgelegt.»